Bodenverbrauch: Verlieren wir den Boden unter unseren Füßen?

6. Juni 2018

Symposium zum Bodenverbrauch in Österreich: „Wir verlieren den Boden unter unseren Füßen. Österreich, ein Land ohne Äcker – zukunftslos?“ mit einem Appell aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur: Stopp der Verbauung, Korrektur der Bodenpolitik, neue Akzente in der Raumordnung!

Einen dringenden Appell nach einer Korrektur der Bodenpolitik richten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur an die Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden: „In Österreich wird täglich zu viel Fläche neu verbaut. Damit gefährden wir die Zukunft unseres einzigartigen Natur- und Lebensraumes und somit die Lebensgrundlage unserer Kinder und Kindeskinder“, erklären Dr. Gertrude Brinek (Volksanwältin) und Dr. Kurt Weinberger (Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung) im Rahmen eines von der Volksanwaltschaft und der Österreichischen Hagelversicherung organisierten Symposiums zum Thema „Wir verlieren den Boden unter unseren Füßen. Österreich, ein Land ohne Äcker – zukunftslos?“. Prominente Unterstützung erhalten die Veranstalter von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Podiumsdiskussion Dr. Erwin Pröll, (Landeshauptmann a. D.), Univ. Prof. DDr. Johannes Huber (Mediziner und Theologe), Monika Langthaler, M.Sc. (Geschäftsführende Gesellschafterin brainbows), DI Christoph Mayrhofer (Architekt) und Tobias Moretti (Schauspieler und Landwirt). Moderiert wurde die Veranstaltung mit mehr als 100 hochkarätigen Vertreterinnen und Vertretern aus verschiedensten Bereichen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene von Mag. Dr. Christa Kummer, Klimatologin, Hydrogeologin und Moderatorin des ORF.

 Ein Blick über den Tellerrand

Es gibt kein zweites Land in Europa, das eine so hohe Verbauungsquote wie Österreich hat. Täglich wird hierzulande – im Durchschnitt der letzten 10 Jahre – die Fläche von 30 Fußballfeldern verbaut. Sie ist damit für nachfolgende Generationen für immer als Lebensgrundlage verloren. Die jährliche Verbauung von Agrarflächen in Österreich beträgt 0,5 Prozent. Deutschland liegt vergleichsweise bei der Hälfte, also bei 0,25 Prozent. Die Hauptursache liegt in der österreichischen Raumordnungskonstruktion, die sich von anderen Ländern erheblich unterscheidet. Ein Blick nach Bayern genügt: Dort gibt es regionale Raumordnungskonzepte, die funktionieren. Dort können einzelne Gemeinden keine von der Nachbargemeinde losgelösten Gewerbegebiete errichten.

Österreich ist mit einer Supermarktfläche von 1,8 Quadratmeter pro Kopf und einer Straßenlänge von 15 Meter pro Kopf bereits Europameister im negativen Sinne. Der Durchschnitt liegt in Europa bei einem Quadratmeter pro Kopf und bei den Straßen bei rund 8 Meter pro Kopf. Wenn diese Entwicklung so fortschreitet, wird es in Österreich in 200 Jahren keine Agrarflächen mehr geben. Gleichzeitig stehen in Österreich 40.000 Hektar Gewerbe-, Industrie- und Wohnimmobilien leer. Das entspricht der Fläche der Stadt Wien.

Böden sind Lebensgrundlage und Kulturgüter ersten Ranges. Sie sind schützenswert und verdienen wieder mehr Respekt. 95 Prozent unserer Nahrung kommt aus dem Boden, auch unser tägliches Brot. Deshalb ist sein besonderer Schutz für die Ernährung der steigenden Bevölkerung unverzichtbar. „Andernfalls steht die Zukunft nachfolgender Generationen – unserer Kinder – auf dem Spiel. Das ist nicht akzeptabel“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung, denn „Bodenlos ist brotlos. Bodenlos ist schutzlos. Bodenlos ist arbeitslos. Bodenlos ist heimatlos. Bodenlos ist zukunftslos.“

 

Zitate aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur:

Brinek: Österreich muss beginnen seine Hausaufgaben zu machen

Um nachhaltige Lösungen zu finden, sind durchdachte Flächenwidmungs- und Raumordnungskonzepte notwendig. Gefordert werden verbindliche Anreizsysteme zur Nutzung leerstehender Gewerbe- und Industrieflächen, eine Widmung, die zum Bauen in die Tiefe (Garagen) sowie in die Höhe (mehrgeschossig) anregt. Notwendig ist jedenfalls mehr Mut zu transparenten und nachhaltigen (überregionalen) Entscheidungen.

Weinberger: Revitalisierungsoffensive ist ein Beispiel für nachhaltiges Wachstum

Ökonomie und Ökologie sind uns gleichermaßen wichtig. Als Hagelversicherung treten wir daher für eine strukturierte und intelligente Raumentwicklung ein. Ein Beispiel: Für Revitalisierungen sollen von der öffentlichen Hand Anreize durch Förderungen bzw. Steuerentlastungen geschaffen werden. Dies würde eine dreifache Dividende bringen: Wir würden Böden für unsere Kinder schützen, die Umwelt schonen und nachhaltige Arbeitsplätze schaffen.

Pröll: Die Politik spielt bei der Raumordnung eine entscheidende Rolle

Die Raumordnungspolitik muss mit Verboten und nach klaren Grundsätzen arbeiten. Ein entscheidender Punkt sind dabei die vielen leerstehenden Objekte und Flächen in den Siedlungen. Die Zentren müssen gezielt gestärkt und der Fußläufigkeit anstelle der Autolastigkeit der Vorrang gegeben werden, um das Ausfransen an den Ortsrändern und damit den Bodenverbrauch einzudämmen. All das verlangt jedenfalls Mut, Haltung und Sensibilität der Verantwortungsträger.

Huber:  Der Bodenverbrauch hat Auswirkungen auf Physiologie und Genom

Großflächig asphaltierte und zubetonierte Flächen schränken den Lebensraum der verschiedenen Mikroorganismen ein, sodass sie ihre biologischen Aufgaben nicht mehr erfüllen können. Deswegen sollten die Böden in Zukunft nicht nur nach ihrem Quadratmeterpreis oder ihrer Flächenwidmung beurteilt werden, sondern vor allem in ihrer Bedeutung für das Ökosystem.

Mayrhofer: This suicide is painless

Österreich hat sich, wie allgemein bekannt, bei der Neuversiegelung von Boden an die Spitze der europäischen Länder katapultiert. Unsere gesamte menschliche Existenz hängt von dieser nur einige Zentimeter dünnen Schicht auf Gedeih und Verderb ab. Wobei der Verbrauch von Boden keine Naturkatastrophe darstellt, sondern eine ganz und gar von Menschen bewusst und meist in Kenntnis aller Folgen vorgenommene Handlung.

Langthaler: Bodenverbrauch – Wer übernimmt die Verantwortung?

Im Gegensatz zu anderen Staaten gibt es in Österreich keine "Rahmenkompetenz" des Bundes. Landesgesetze bilden die gesetzliche Grundlage für die überörtliche und örtliche Raumordnung und Raumplanung. Die Vollziehung der örtlichen Raumplanung fällt nach dem Bundesverfassungsgesetz in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden. Kurz gesagt: Die Raumplanung ist für die Politik ein Stiefkind, „zerspragelt“ mit unterschiedlichen Vorgaben und Kompetenzen.

Moretti: Kulturland Österreich ist massiv gefährdet

Es braucht nicht jedes Dorf sein eigenes Industrie- bzw. Shoppingcenter. Die Gemeinden sagen klarerweise nicht nein, wenn es die effizienteste Einnahme zu sein scheint. Was die Verbauung angesichts der Klimaveränderung bedeutet, hören wir alle seit Wochen ständig in den Nachrichten. Man braucht nie mehr von Kultur zu reden, wenn man die Kultur des eigenen Lebens und Lebensraumes in so einem Tempo und so unkontrolliert vernichtet. Wir sägen uns den eigenen Ast ab, auf dem wir leben.

 

Zukunft unserer Kinder sichern, nicht verbauen!

„Wir müssen dem Bodenschutz zum Durchbruch verhelfen. Dazu sollten wir Bewusstsein dafür schaffen, dass der Boden die Basis für unser Leben ist. Mit einer bodenschonenden Raum- und Verkehrsplanung gestalten wir heute das Klima von morgen und verbauen nicht die Zukunft unserer Kinder. In unserer Bundeshymne sollte es nicht lauten – ein Land ohne Äcker zukunftslos, sondern auch weiterhin: Land der Äcker, zukunftsreich!“ So der abschließende gemeinsame Appell.

 

Fakten zum Bodenverbrauch:

  • In den letzten 10 Jahren wurden durchschnittlich 20 Hektar (= 30 Fußballfelder) pro Tag verbaut. In der Periode 2015-2017 waren es 12,9 Hektar (= 20 Fußballfelder).
  • Österreich verliert jährlich 0,5 Prozent seiner Agrarflächen, d.h. in 200 Jahren gäbe es bei Fortschreiten dieser Entwicklung so gut wie keine Agrarflächen mehr in Österreich. Im Vergleich: Deutschland und die Schweiz verbauen 0,25 Prozent, Tschechien 0,17 Prozent.
  • Österreich hat mit 1,8 Quadratmeter die höchste Supermarktfläche pro Kopf; Italien: 1,0 Quadratmeter, Frankreich: 1,2 Quadratmeter.
  • Österreich hat mit 15 Meter pro Kopf eines der dichtesten Straßennetze; Deutschland: 7,9 Meter, Schweiz: 8,1 Meter pro Kopf.
  • In Österreich gibt es lt. Umweltbundesamt 400.000.000 Quadratmeter (= 40.000 Hektar) leerstehende Gewerbe-, Industrie- und Wohnimmobilien, das entspricht in etwa der Fläche der Stadt Wien.